Cover
Titel
Cordial Cold War. Cultural Actors in India and the German Democratic Republic


Herausgeber
Bajpai, Anandita
Reihe
Politics and Society in India and the Global South
Erschienen
Anzahl Seiten
294 S.
Preis
$ 32.72
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Hilger, Deutsches Historisches Institut Moskau

Der insgesamt anregende Band geht in Teilen auf einen Workshop über die Kulturbeziehungen zwischen Indien und der DDR zurück, der 2018 an der Humboldt-Universität zu Berlin stattfand. Die Sammlung ist interdisziplinär und als Koproduktion deutsch-indischer Autor:innen angelegt. Sie thematisiert Motivationen und Handlungsspielräume der Akteur:innen vor Ort, die mit ihren vielfältigen Aktivitäten die kulturellen Verbindungen der beiden Staaten im Kalten Krieg ausmachten und mit Leben füllten. Mit Blick auf diese Akteursebene ist der zunächst überraschende Titel des Bands Programm: Mitunter sehr beständige individuelle künstlerische Interaktionen beispielsweise sind ohne persönliche und professionelle Annäherung schwierig vorzustellen. Für verschiedene Bereiche der ehemaligen Kulturbeziehungen in einem weiteren Sinn – Theater, Film, Rundfunk, Nachrichtenwesen, Malerei, Literatur, Architektur, Kartographie – bringt die grundsätzliche Konzentration der dichten Analysen auf ostdeutsch-indische Interaktionen und deren unmittelbare kulturelle Produktionen über Grenzen hinweg folgerichtig auch individuelle Perspektiven und Kontakte zum Vorschein, die ein pauschales Bild von sozialistischen Kulturbeziehungen als rein politisch-propagandistische Veranstaltungen und Instrumentalisierungen erheblich ausdifferenzieren. Indes: Rahmungen und Orientierungen des Kalten Kriegs sowie politische Positionierungen in Indien gehörten immer zu den spezifischen Handlungs- und Produktionsbedingungen dieser Begegnungen und Verflechtungen. Nicht immer entkommt der Band der Gefahr, über die Konzentration auf Wahrnehmungen bzw. Selbstdarstellungen einzelner Akteur:innen Einflüsse und Wirkungsmacht dieser Grundvoraussetzungen zu vernachlässigen. Manche Passagen reproduzieren daher eher verklärende Rückschauen oder idealisierte Bestandsaufnahmen von (ehemaligen) Protagonist:innen, als dass sie diese einer kritischen Analyse unterwerfen (z.B. S. 1, S. 77–96).

Die zupackende Einleitung der Herausgeberin präsentiert prägnant und lesenswert die theoretischen Leitlinien des Zugangs und skizziert gekonnt seinen potenziellen Mehrwert für die Geschichte von DDR, Indien, Kulturbeziehungen und Kaltem Krieg. Der hohe theoretische und methodische Anspruch, den sie und einige andere Autor:innen ausführlich ausformulieren, wird nicht in jedem Fall mit genauen empirischen Fallstudien eingelöst. Besonders schmerzlich empfindet man die Lücke in Bishnupriya Dutts Diskussion der Aufführung eines indischen Theaterstücks, Invincible Vietnam, in Kalkutta (heute Kolkata) und Rostock Ende der 1960er-Jahre (S. 33–62). Hier bleiben viele wichtige Facetten des gemeinschaftlichen Unternehmens wenig greifbar. Anderen Autoren wie Vaibhav Abnave in seiner instruktiven Untersuchung ostdeutsch-indischer Zusammenarbeit in der Theaterregie gelingt die Verbindung von Theorie und Empirie wesentlich besser (S. 179–208). Christoph Bernhardt verleiht dabei den Kontakten und Produktionen im Rahmen der Kartographie eine wichtige historische Tiefe, wenn er an Leipziger Traditionen der Vorkriegszeit in diesem Sektor erinnert (S. 131–151).

In ihrer Gesamtheit bieten die Beiträge lesenswerte Einblicke in die verschiedenen, bereits genannten Sphären kultureller Beziehungen. Dabei richten Untersuchungen ostdeutscher Reiseliteratur oder indischer Auseinandersetzungen mit dem deutschen Expressionismus themengemäß eher den Blick auf einseitige Produktionen und Rezeptionen. Untersuchungen gemeinsamer Theaterproduktionen und eine Gesamtschau von Rundfunksendern und -hörer:innen in der DDR und Indien demonstrieren derweil ausführlicher Chancen des erweiterten Blicks auf die Kulturbeziehungen. Auf diese Weise wird die gemeinsame ostdeutsch-indische kulturelle Produktions- und Verflechtungsgeschichte zumindest in der Summe der Beiträge rekonstruiert. Im Gesamtbild bleibt festzuhalten, dass die Motive und Handlungsmöglichkeiten der Produzent:innen im ostdeutschen, aber offenbar auch im indischen Umfeld in vielerlei Hinsicht politisch mitbestimmt waren. Sie erschöpften sich aber gerade im quasi handfesten Alltag der Kulturkooperation nie in der politischen Agenda eines staatlichen oder parteipolitischen Kultur- und Kooperationsauftrags. Hindi-sprechende ostdeutsche Journalist:innen pflegten in ihren Radiosendungen die eigenen Sprachkenntnisse. Zugleich konnten sie sich hier dem Land und seiner Bevölkerung, die sie studieren, aber nicht besuchen durften, annähern. Reiseberichte über Indien fügten sich in politische Konjunkturen, boten aber der eigenen Gesellschaft eben auch ein Fenster in die weite Welt. Indische Filmschaffende verliehen in der Zusammenarbeit ihren Karrieren internationalen Glanz und erweiterten ihr künstlerisches Repertoire. Generell mussten sich gerade indische Akteur:innen keine großen Gedanken um die Ziele und Motive des ostdeutschen Kulturaustauschs machen, um dessen Möglichkeiten für ihre politischen, wirtschaftlichen und/oder privaten Positionierungen zu nutzen (S. 240). Im bunten Bild der konkreten Zusammenarbeit konnte es, in verschiedener Abstufung, vorkommen, dass ursprüngliche politische Ambitionen zur beiderseitigen individuellen und künstlerischen Zufriedenheit verschwammen, ignoriert oder modifiziert wurden. Gerade in diesem Zusammenhang hätte man sich generell gewünscht, mehr Informationen über die faktischen Dimensionen der Kulturbeziehungen und ihre eigentliche, auch soziale Reichweite – wie beispielsweise Zuschauer- und Mitgliederzahlen hinsichtlich Filmaufführungen, Klubs etc. – zu erfahren. Der Fokus auf die Produzent:innen lässt die Konsument:innen immer wieder in den Hintergrund geraten und verliert damit das Gesamtbild der Kulturbeziehungen aus den Augen. Hinweise etwa im Kontext ostdeutscher Radiosendungen nach Indien verweisen auf wichtige gegebene Einschränkungen bei Empfang und Aufnahme, die man sich auch für andere Kultursektoren vorstellen kann. Die abschließende chronologische Übersicht über ostdeutsch-indische Begegnungen bis Anfang der 1970er-Jahre schafft keine partielle Abhilfe. Sie liest sich, als wolle der Autor noch einmal im Nachhinein beweisen, „how mutually advantageous and friendly relations were actively developed among varied actors from both the countries“ (S. 252). Dass hier Organisationen wie beispielsweise die FDJ, FDGB und das ostdeutsche Afro-Asian Solidarity Committee als Vertreter einer Zivilgesellschaft apostrophiert werden, kann nur verwundern und hinterlässt einen faden Nachgeschmack (S. 264–266).

Insgesamt hinterlässt die Lektüre des Buchs einen ambivalenten Eindruck. Der im Band vorgeschlagene neue Blick auf das kulturelle bilaterale, transnationale und translokale Geschehen ist tatsächlich in der Lage, die archivalische Forschungsbasis zum Kalten Krieg gewinnbringend zu erweitern. Anandita Bajpai führt diesen zusätzlichen Aspekt in ihrer Darstellung von Radio Berlin International in Indien geradezu exemplarisch vor Augen. Neben Interviews ist hier die Sendung Berlin Diary zu erwähnen, in der der Sender nach dem Fall der Mauer die greifbaren Veränderungen in Ost-Berlin für das indische Publikum dokumentierte (S. 63–109). Der Fokus auf die, wie es im Untertitel heißt, „kulturellen Akteure“ erlaubt es, das Gesamtbild des Kalten Kriegs mit einigem Gewinn auszudifferenzieren und den Blickwinkel der Forschung produktiv zu erweitern. So steuert der Band nicht zuletzt der Gefahr entgegen, ostdeutsche Protagonist:innen vor Ort ausschließlich als verlängerten Arm der UdSSR oder als roboterhafte Apparatschiks der SED wahrzunehmen. Zudem wird deutlich, dass die DDR-Außenbeziehungen nicht gänzlich in einem verbissenen deutsch-deutschen Anerkennungswettbewerb aufgingen. Der frische, unbefangene Blick auf die Geschichte der DDR-Außenbeziehungen kippt allerdings mitunter in Naivität oder Nostalgie um. Der hohe theoretische Anspruch wird, wie erwähnt, nicht durchgängig durchgehalten bzw. eingelöst. So liefert der Band interessante Einblicke in die ostdeutsch-indischen Kulturbeziehungen und regt zu weiteren Forschungen an. Dazu wird auch eine intensive Auseinandersetzung mit der Rezeption der gemeinsamen Kulturproduktionen gehören.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch